Als die Nationalsozialisten das, was vom Gebiet des ehemaligen tschechoslowakischen Staates übrig geblieben war, besetzten
und ihr Besatzungsregime errichteten, brachten sie ihre Rassenideologie und damit die Definition artfremden Rassen
mit. Als
solche betrachteten sie Juden, Zigeuner
und Neger
.1 Als Juden galten ihnen nicht nur diejenigen, die sich auch selbst als
solche identifizierten, sondern auch Menschen, die zum Beispiel aus Familien stammten, die vor mehreren Generationen zum Christentum
konvertiert waren. Ihre Definition dessen, wer als Jude zu betrachten war, legten sie in den sogenannten Nürnberger Gesetzen
fest. In einem langen und komplizierten Prozess erstellten die Nationalsozialisten die Liste ihrer zukünftigen Opfer. Hierzu
verwandten sie Dokumente der staatlichen Verwaltung, der jüdischen Gemeinden und in Deutschland auch das Mittel der Volkszählung,
um ihre Opfer zu identifizieren.2 Bei Menschen, die sie als Zigeuner
betrachteten, funktionierte diese Methode nicht. Die
nationalsozialistische Definition von Zigeunern
beruhte in erster Linie auf der pseudowissenschaftlichen Forschung von Dr.
Robert Ritter, der seit 1936 die sogenannte Rassenhygienische Forschungsstelle
im Reichsgesundheitsamt leitete. Dieses Forschungsinstitut
kombinierte genealogische Forschungen mit Polizeiregistern und pseudowissenschaftlichen anthropometrischen Kriterien, um festzustellen,
wer als Rassezigeuner
oder Zigeunermischling
galt. Dieser Prozess begann später als die Erstellung der Liste der Juden im
Reich und fand hauptsächlich während des Zweiten Weltkriegs statt. Nach der Errichtung des Protektorats gelangten die Nationalsozialisten
schnell an Dokumente, die es ihnen ermöglichten, auch in den böhmischen Ländern festzustellen, wer nach der Definition
der Nürnberger Gesetze als Jude
galt. Ähnliche Dokumente über Rassezigeuner
gab es nicht.
Was es jedoch gab, war ein Polizeiregister der Zigeuner
, das die tschechoslowakische Polizei seit 1925 führte und das durch
das Gesetz Nr. 117/1927 Sb. Über umherziehende Zigeuner
geregelt wurde. Dieses Gesetz definierte Zigeuner
auf der Grundlage
des Lebensstils. Paragraph 1 dieses Gesetzes lautete wie folgt: Nach diesem Gesetz gelten als umherziehende Zigeuner Zigeuner,
die von Ort zu Ort ziehen, und andere arbeitsscheue Wanderer, die nach Zigeunerart leben, auch wenn sie für einen Teil des
Jahres, insbesondere im Winter, einen ständigen Wohnsitz haben.
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Die vage Definition des Begriffs umherziehende Zigeuner
in diesem Gesetz stimmt auch mit dem allgemeinen Verständnis des
Begriffs Zigeuner
in der damaligen tschechischen Gesellschaft überein. Als Zigeuner
galten sowohl Roma und Sinti als ethnische
Gruppe (damals im Tschechischen als Zigeuner
mit großem Z
bezeichnet) als auch im Allgemeinen alle diejenigen, die in den
Augen der Mehrheitsgesellschaft aufgrund von Vorurteilen und Stereotypen dieser Gruppe glichen, (zigeuner
, im Tschechischen
mit kleinem z
. Dabei handelte es sich z.B. um Landstreicher, wandernde Schleifer, Regenschirmhersteller, wandernde Händler
oder kleine Karussellbetreiber). Im Wörterbuch der tschechischen Sprache aus dem Jahr 1937 heißt es, ein Zigeuner
sei ein
Mitglied der wandernden Nation der Zigeuner
, aber auch ein Schurke, Lügner, Hochstapler
im Allgemeinen.4
Bevor die Nationalsozialisten das oben beschriebene Zigeunerregister
für ihre eigenen Zwecke nutzten, wurden im Protektorat
jedoch verschiedene andere Maßnahmen ergriffen, die aus dem Altreich
übernommen wurden.
Das nächste Kapitel: Besatzung und Übernahme deutscher Gesetze und Vorschriften