Besatzung und Übernahme deutscher Gesetze und Vorschriften

Nach und nach übernahm die Protektoratsregierung alle gegen Zigeuner gerichteten Bestimmungen, die in den 1930er Jahren in Nazi-Deutschland umgesetzt worden waren. Zunächst nutzte jedoch auch das neue Regime die rechtlichen Möglichkeiten der 1. Tschechoslowakischen Republik zur Verfolgung derjenigen, die als Zigeuner gelabelt wurden. Hier war das Gesetz Nr. 117/27 Sb. vom 15. Juli 1927 Über umherziehende Zigeuner von zentraler Bedeutung. U.a. verbot es Menschen, die nach diesem Gesetz als Zigeuner kategorisiert wurden, den Zugang zu bestimmten Orten, wie den Grenzgebieten, Kurorten oder bestimmten Bezirken größerer Städte.1 Mit einem Erlass verbot der Protektoratsminister des Innern, Josef Ježek, zum 30. November 1939 jede Form nomadischer Lebensweisen und verbot allen umherziehenden Zigeunern bis Ende Januar 1940 das Reisen generell. Sie wurden angewiesen, sich entweder an dem Ort, an dem sie gemeldet waren, oder an dem Ort, an dem sie sich gegenwärtig aufhielten, niederzulassen. Die Ansiedlung selbst verlief nicht reibungslos, da sich die Gemeinden oft gegen die Ansiedlung umherziehender Zigeuner wehrten, indem sie sie aus ihrem Bezirk vertrieben oder ihnen das Aufenthaltsrecht verweigerten. Diejenigen, denen es gelang, der Aufforderung nachzukommen, standen praktisch unter ständiger Kontrolle der örtlichen Gendarmen und die Verwaltung des Protektorats zog periodische Berichte verschiedener Ämter zur Feststellung ihrer Identitäten und weiterer rechtlicher Fragen hinzu. Bei einer Volkszählung wurden am 1. April 1940 insgesamt 6.540 Zigeuner im Protektorat gezählt.2
 

Abb. 1: Eine Roma-Familie nach der Zwangsansiedlung, 1940, Zeitschrift Bezpečnostní služba [Sicherheitsdienst]. (Foto: Muzeum romské kultury [Museum für Roma-Kultur]).

Eine der möglichen Strafen für die Nichteinhaltung des Reiseverbots war die Inhaftierung in Arbeitsdisziplinierungslagern. Diese Lager wurden am 10. August 1940 in Lety u Písku und in Hodonín u Kunštátu eröffnet. Das Dekret über ihre Errichtung wurde von der tschecho-slowakischen Regierung unter Rudolf Beran am 2. März 1939, d.h. vor der Errichtung des Protektorats, erlassen. Sie sollten zur Internierung arbeitsscheuer Männer, einschließlich arbeitsfähiger umherziehender Zigeuner, dienen, eingewiesen werden sollten Männer über achtzehn Jahren, die nicht nachweisen konnte, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienten.3 Nach dem Verbot des Herumziehens sollten auch explizit Männer aus Roma-Familien, die dennoch weiter reisten, in diesen Lagern interniert werden. Gefangene der Arbeitsdisziplinierungslager, die als Zigeuner galten, wurden in den Lageraufzeichnungen mit einem großen C (d.h. Cikán oder Zigeuner) gekennzeichnet. Je nach Jahreszeit machten sie in der Regel 5 bis 25% aller Internierten aus.4

Ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der nationalsozialistischen Zigeuner-Verfolgung im Protektorat war die Verordnung Nr. 89/42 Sb. Über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung, die eine Kopie des gleichnamigen deutschen Erlasses des deutschen Polizeichefs und Chef der SS Heinrich Himmler aus dem Jahr 1937 war. Die Protektoratsregierung unter Vorsitz von Jaroslav Krejčí erließ diese Verordnung am 9. März 1942. Unter anderem erhielt die Kriminalpolizei das Recht, diejenigen, die mit ihrem asozialen Verhalten die Öffentlichkeit bedrohen, auf unbestimmte Zeit in neu errichtete Internierungslager einzuweisen. Diese Vorbeugehaft war die offizielle gesetzliche Grundlage für die Inhaftierung in nationalsozialistischen Konzentrationslagern.5 Als asozial galt eine Person, die auch ohne ein gegen die Gemeinschaft gerichtetes kriminelles Verhalten zu erkennen gibt, dass sie nicht beabsichtigt, sich in die Gemeinschaft einzufügen. Diese sehr vage Definition ermöglichte die Verfolgung von Hunderten von Männern und Frauen, die ohne Gerichtsbeschluss in verschiedenen Haft- und Konzentrationslagern interniert wurden.

Die Verordnung Nr. 89/42 Sb. nannte explizit auch Zigeuner und umherziehende Zigeuner als zum Personenkreis der Asozialen gehörig und enthielt besondere Bestimmungen für Zigeuner: Zigeunern und Menschen, die auf Zigeunerart leben war es verboten, ihren offiziell zugewiesenen Wohnort ohne vorherige Genehmigung der Kriminalzentrale in Prag zu verlassen.

Die Kriminalzentrale in Prag wurde im Zuge der Angleichung der Behörden in Reich und Protektorat geschaffen und war hauptsächlich zuständig für die Verfolgung von Zigeunern im Protektorat. Bis zu ihrer tatsächlichen Errichung nahm die Kriminalabteilung der Polizeidirektion in Prag diese Aufgaben wahr.6 Sie verfügte von nun an als einzige Institution über das Recht, Reiseerlaubnisse auszustellen. Von anderen Behörden ausgestellte Reiseausweise liefen ab, und die ungültigen gewordenen Ausweise wurden ihren Inhabern entzogen. Auch war die Kriminalzentrale als einzige befugt, Lizenzen für Wandergewerbe auszustellen.7

Mit Wirkung vom 1. Januar 1942 wurden die Arbeitsdisziplinierungslager in Lety u Písku und Hodonín u Kunštátu in Anhaltelager umgewandelt. Sie waren, neben den Zwangsarbeitshäusern in Prag-Ruzyně, Pardubice und Brünn (mit einer Außenstelle in Olšovec) als Haftorte für Vorbeugehäftlinge vorgesehen. Darüberhinaus, und das war die schlimmste Option für die Betroffenen, war eine Deportation in das Konzentrationslager Auschwitz I, später auch in die Konzentrationslager Buchenwald und Ravensbrück, möglich. Unter den mehreren hundert Menschen, die von April 1942 bis Februar 1944 als sogenannte Asoziale aus dem Protektorat deportiert wurden, befanden sich nur wenige Roma und Romnja.8 Obwohl die Rassenideologie der Nationalsozialisten Roma und Sinti mit Asozialen in enge Verbindung brachte, waren diese Gruppen für die Nazis nicht komplett identisch.


 

Erkennungskarte und Polizeifoto von Antonín Vrba, einem Häftling des Anhaltelagers in Lety u Písku, der von den Behörden des Protektorats als "asozial" bezeichnet und am 25. März 1942 inhaftiert wurde. (Foto: SOA Třeboň, fond ZL Lety, Kar. 20, Inv. Nr. 83, osobní spisy muži [Personenakten Männer], fol. 610).


Das nächste Kapitel: Die "Zigeuner"-Erfassung (2. August 1942)

Erläuterungen

1:

Nečas, Ctibor. Romové v České republice včera a dnes. 3. ed. Olomouc: Univerzita Palackého v Olomouci, 1999. 132 s. S. 66.

2:

Nečas, Ctibor. Českoslovenští Romové v letech 1938-1945. In: Spisy Filozofické fakulty Masarykovy univerzity v Brně. Brno: Masarykova univerzita v Brně, 1994. S. 33-34.

3:

Vládní nařízení ze dne 2. března 1939 o kárných pracovních táborech [Regierungsverordnung vom 2. März 1939 über Arbeitsdisziplinierungslager]. In: Sbírka zákonů a nařízení státu československého [Sammlung der Gesetze und Verordnungen des tschechoslowakischen Saates]. Prag 1939, S. 368–370, http://www.digitalniknihovna.cz/mzk/uuid/uuid:92c52e90-8681-11e9-b844-5ef3fc9ae867, zuletzt abgerufen: 17. Mai 2020.

4:

 Nečas, Ctibor. Holocaust českých Romů. Praha: Prostor, 1999. 173 s. S. 18.

5:

HENSLE, Michael P.: Die Verrechtlichung des Unrechts. Der legalistische Rahmen der nationalsozialistischen Verfolgung. In: Benz, Wolfgang, Distel, Barbara und Königseder, Angelika. (Hg.): Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 8. München: 2008. S. 76–90.

6:

Moravský zemský archiv [Mährisches Landesarchiv], B 124, Krajský národní výbor Brno [Kreisnationalkommitee Brünn], III. Manipulation, Karton 1871, Inv. Nr. 1536, Zvl. příloha ke St. I/II-17-100-78 Ministersvo vnitra, oběžník z 24. června 1942. [Sonderanlage zu St I / II-17-100-78, Innenministerium, Runderlass vom 24. Juni 1942].

7:

Vládní nařízení č. 89/42 Sb. ze dne 9. března 1942 o „preventivním potírání zločinnosti“ [Regierungsverordnung Nr. 89/42 Sb. Vom 9. März 1942 über „vorbeugende Verbrechensbekämpfung“]. In: Nové zákony a nařízení Protektorátu Čechy a Morava [Neue Gesetze und Verordnungen des Protektorats Böhmen und Mähren]. Prag 1942, S. 184–204, http://www.digitalniknihovna.cz/mzk/uuid/uuid:d1e3c790-3635-11e4-8c14-5ef3fc9bb22f. ​ Zuletzt abgerufen: 17. Mai 2020.

8:

 Nečas, Ctibor. Holocaust českých Romů. Praha: Prostor, 1999. 173 s. S. 18–19.

Quellen und Literatur:

Archivarische Quellen:

Moravský zemský archiv [Mährisches Landesarchiv]

  • B 124, Krajský národní výbor Brno [Regionaler Nationalausschuss Brünn], III. manipulace [III. Manipulation]:

  • Karton 1871, Inv. Nr. 1536 – Cikáni (1942–1951) [Zigeuner (1942–1951)]

Státní oblastní archiv v Třeboni [Staatliches Regionalarchiv in Třeboň]

  • CT Lety [ZL Lety]:

  • Karton 3, Inv. Nr. 38 – Vyhláška o soupisu cikánů vydaná dne 17. 7. 1942 [Bekanntmachung der Zigeunererfassung vom 17. Juli 1942]
     
  • Karton 14, Inv. Nr. 75 – Změny stavu, propuštění z cikánského tábora, seznamy zemřelých [Veränderungen in der Zahl der Gefangenen, Entlassungen aus dem Zigeunerlager, Todeslisten]
     
  • Karton 20, Inv. Nr. 83 – Osobní spisy muži [Personenakten Männer]
     
  • Karton 23, Inv. Nr. 96 – Epidemie tyfu [Typhusepidemie]

Gesetze und Verordnungen:

Literatur:

  • Rickmann, Anahid S. „Rassenpflege im völkischen Staat“. Zum Verhältnis der Rassenhygiene zur nationalsozialistischen Politik. Bonn: Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, 2002.

  • Nečas, Ctibor. Romové na Moravě a ve Slezsku (1740-1945). Brno: Knižnice Matice moravské, 2005. 475 s.

  • Nečas, Ctibor. Romové v České republice včera a dnes. 3. ed. Olomouc: Univerzita Palackého v Olomouci, 1999. 132 s.

  • Nečas, Ctibor. Českoslovenští Romové v letech 1938-1945. In: Spisy Filozofické fakulty Masarykovy univerzity v Brně. Brno: Masarykova univerzita v Brně, 1994.

  • Nečas, Ctibor. Holocaust českých Romů. Praha: Prostor, 1999. 173 s.

  • Nečas, Ctibor. Andŕoda taboris. Tragédie protektorátních cikánských táborů v Letech a v Hodoníně. Brno: 1995.

  • Nečas, Ctibor. Nemůžeme zapomenout. Našti bisteras. Nucená táborová koncentrace ve vyprávěních romských pamětníků. Olomouc: Univerzita Palackého v Oloumoci, 1994. 244 s.

  • Nečas, Ctibor. Nad osudem českých a slovenských Cikánů 1939-1945. Brno: Univerzita J. E. Purkyně v Brně, 1981. 180 s.

  • Schmidt, Zilli. Gott hat mit mir etwas vorgehabt! Erinnerungen einer deutschen Sinteza. Berlin: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, 2020.

  • Serinek, Josef, Tesař, Jan und Ondra, Josef. Česká cikánská rapsodie. Praha: Triáda, 2006.

  • Memorial book: The Gypsies at Auschwitz-Birkenau = Księga Pamięci: Cyganie w obozie koncentracyjnym Auschwitz-Birkenau = Gedenkbuch: Die Sinti und Roma im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau: The gypsies at Auschwitz-Birkenau. München: Saur, 1993.

  • Váša, Pavel und Trávníček, František. Slovník jazyka českého. Praha: Fr. Borový, 1937.

  • Zimmermann, Michael. Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische Lösung der Zigeunerfrage. Hamburg: Christians, 1996. 547 s.

  • Benz, Wolfgang, Distel, Barbara und Königseder, Angelika. (Hg.): Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 8. München: 2008.

  • Aly, Götz. Die restlose Erfassung: Volkszählen, Identifizieren, Aussondern im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main: Fischer, 2000.

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