Jüdische Gemeinden in der Falle

Nach der Nazi-Okkupation konnte man die jüdischen Gemeinden nicht mehr als freiwillige religiöse Organisationen betrachten. Die Nazis entledigten sich derer führenden Beamten und versuchten die Gemeinden als Werkzeug für judenfeindliches Vorgehen einzusetzen. Die jüdischen Gemeinden in den tschechischen Gebieten waren dem Zentrum für jüdische Auswanderung mit Sitz in Prag vollkommen untergeordnet. Die Beamten der jüdischen Gemeinden bewegten sich also auf dünnem Eis, als sie ihren Gemeindemitgliedern aushalfen und gleichzeitig gezwungenermaßen mit den Nazi-Behörden kooperierten.

Unmittelbar nach der Besetzung söhnten sich die zwei sich im Streit befindenden Strömungen in der jüdischen Gesellschaft aus. Die assimilierten Juden und Zionisten beschlossen zu kooperieren und gemeinsam die jüdischen Gemeinden zu leiten. Die Lage war so ernst, dass ihre bisherigen Streitereien unbedeutend erschienen. Die Vertreter der jüdischen Gemeinden versuchten das Schlimmste zu verhindern und die Maßnahmen der Nazis zu mildern. Andererseits waren sie dazu gezwungen sich an der antisemitischen Politik des Dritten Reichs zu beteiligen, indem sie die Mitglieder der jüdischen Gemeinden registrieren und Deportationslisten erstellen mussten. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die führenden Beamten der jüdischen Gemeinden unter ständiger Androhung von Gefangenschaft und Tod arbeiteten und die wenigsten von ihnen das Ende des Krieges erlebten.

Während des ersten Jahres der Besetzung war das wichtigste Ziel der jüdischen Gemeinden, Hilfe für die Armen und Kranken bereitzustellen und Auswanderung zu unterstützen. Židovské zprávy (Jüdische Nachrichten), das Magazin, das die jüdische Gemeinde herausgeben musste, enthielt zahlreiche Aufrufe zu Sammlungen für die Armen. In der Zeitschrift wurden auch Dutzende Artikel über Möglichkeiten zur Auswanderung und wie man diese nutzen kann abgedruckt, und der neue Typus des jüdischen Arbeiters wurde gefeiert. Um die Auswanderung zu erleichtern, veranstaltete die jüdische Gemeinde in Prag eine große Anzahl an Trainingskursen, die den Teilnehmern Grundkenntnisse in verschiedenen Berufen vermittelten.

Arbeitszimmer in der jüdischen Glaubensgemeinschaft (Fotoarchiv des Jüdischen Museums Prag).

Die jüdischen Gemeinden mussten Register mit allen Mitgliedern führen. Ursprünglich diente dies der Erleichterung von Sozialhilfe und Auswanderung, später wurden sie jedoch als Grundlage für die Deportation genutzt. Unmittelbar nach der Okkupation mussten die jüdischen Glaubensgemeinschaften Listen mit den Namen ihrer Mitglieder erstellen. Im Oktober 1939 wurde die Registrierung aller jüdischen Bewohner des Protektorats angeordnet, wobei Juden anderen Glaubens als Judaismus zum ersten Mal erfasst wurden . Insgesamt wurden 80 319 Menschen jüdischen Glaubens und 9 828, die nicht jüdischen Glaubens waren, registriert. All jene, die nicht jüdischen Glaubens waren, auf die jedoch die Judendefinition der Nürnberger Rassegesetze zutraf, mussten sich bei den jüdischen Gemeinden melden. Die Zahl der namentlich registrierten Juden stieg von 12 680 auf fast 103 000.

Ab März 1940 waren alle Juden und jüdischen Organisationen der jüdischen Glaubensgemeinschaft in Prag untergeordnet, auch Personen, die nicht jüdischen Glaubens waren oder gar keiner Glaubensrichtung angehören.

Die jüdische Gemeinde hatte die Aufgabe die Sondergebühren und Steuern einzuheben, die der jüdischen Bevölkerung in Rechnung gestellt wurden, sowie den Juden in Not zu helfen, jüdische Auswanderung und später Deportation zu organisieren und weitere Befehle der Gestapo zu erfüllen. Die Prager Gemeinschaft beschäftigte eine ausgedehnte Bürokratie mit diesen Aufgaben und hatte circa 2600 Angestellte. Arisierungen und die Verarmung der jüdischen Bevölkerung stellte die Gemeinschaft vor eine schwere Aufgabe. Die meisten Juden gingen keiner bezahlten Tätigkeit nach und mussten sich mit ihrem Erspartem über Wasser halten, auf das sie nur in beschränktem Maße Zugriff hatten, oder sie waren auf die Hilfe der jüdischen Gemeinschaft angewiesen. Die jüdische Gemeinde erfüllte auch die Funktion von Arbeitsamt und organisierte den Arbeitseinsatz jüdischer Arbeiter.

Ab dem Herbst 1941 war es den Juden verboten öffentliche Gottesdienste abzuhalten. Viele Synagogen hatten nun nicht mehr ihre ursprüngliche religiöse Funktion inne, sondern erfüllten einen ganz anderen Zweck: sie wurden als Lagerräume für arisiertes Eigentum verwendet. Die beschlagnahmten Gegenstände mussten sorgfältig geordnet und katalogisiert warden. Gegenstände aus nicht mehr abschaffennen Synagogen im ganzen Protektorat wurden im Jüdischen Museum gesammelt, wo sie von einer Expertengruppe geordnet wurden, die versuchte das Wenige, das von den jüdischen Gemeinden, deren Mitglieder deportiert wurden, zu bewahren. Deren Arbeit wurde von den Nazis ständig behindert und missbraucht und die Museumsangestellte wurden nach und nach für Deportation eingereiht.

Lagerung arisierter Gegenstände in der Karliner Synagoge (Foto: Archiv des Jüdischen Museums in Prag.)

Das dunkelste Kapitel in der Tätigkeit der jüdischen Gemeinde ist ihre Beteiligung an den Deportationen, während der Besetzung durch die Nazis. Vom Herbst 1941 bis Frühling 1945 musste sich die jüdische Gemeinde an ihrer eigenen Liquidation beteiligen, Aufrufe zu Transporten austeilen und sicher stellen, dass die Transporte ohne Probleme verliefen. Die Jüdische Gemeinde bestimmte jedoch nicht, wer in die Transporte eingereiht wurde. Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung gab der Gemeinde stets zwischen 1200 und 1300 Karteikarten, von denen die Transportabteilung der Gemeinde nur diejenigen ausreihte, die aus irgendeinem Grund (z. B. wenn ein Familienmitglied in der Gemeinde arbeitete) vor dem Abtransport geschützt waren. Auch wenn die Nazis die Transporte anordneten, sahen Viele die Jüdische Gemeinde als Organisator der Deportationen. Diese Täuschung war Teil des Plans der Nazis.

 


Literatur:

  • Hyndráková, Anna, Krejčová, Helena und Svobodová, Jana. Židé v Protektorátu. Hlášení Židovské náboženské obce v roce 1942. Dokumenty (Juden im Protektorat. Berichte der jüdischen Glaubensgemeinschaft 1942. Dokumente). Praha: ÚSD AV ČR - Maxdorf, 1997. 491 s.

  • Lagus, Karel, Polák, Josef und Polák, Karel. Město za mřížemi (Stadt hinter Gittern). Praha: Naše vojsko - SPB, 1964. 365 s.

  • Bondyová, Ruth. Chronik der sich schließenden Tore. Jüdisches Nachrichtenblatt - Židovské listy (1939-1945). Theresienstädter Studien und Dokumente. Prag: Academia, 2000, s. 86-106.

  • Rupnow, Dirk. Ústřední židovské muzeum v Praze 1942 - 1945 (Das Zentrale Jüdische Museum Prag 1942-1945). Terezínské studie a dokumenty. 2000, s. 278-289.

 

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