Die Verschönerungsaktion und der Besuch des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in Theresienstadt

23. Juni 1944

Eine der Besonderheiten des Theresienstädter Ghettos war die Rolle, die es in der nazistischen Propaganda spielte. Das Bemühen der Nazis, Theresienstadt zum Tarnen ihrer Absichten und tatsächlichen Behandlung der europäischen Juden zu nutzen, erreichte seinen Höhepunkt im Juni 1944 mit dem eintägigen Besuch der Delegation des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes im Ghetto.

Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes hatte sich schon seit einiger Zeit um die Bewilligung des Besuches eines der nazistischen Hauptkonzentrationslager, in die Juden aus ganz Europa massenhaft deportiert wurden, bemüht. Die Bewilligung, das Theresienstädter Ghetto zu besuchen, zu der sich das Reichssicherheitshauptamt erstmals im Juni 1943 positiv äußerte, wurde seitens der Nazis als Bestandteil des Bemühens begriffen, die Weltöffentlichkeit von der Unwahrheit der sich verbreitenden Nachrichten über die Ermordung der Juden zu überzeugen. Zum Ort, der die Aufgabe erhielt, das wirkliche Ausmaß des Genozids zu verschleiern und den Nazis ein „falsches Alibi" zu sichern, wurde das Theresienstädter Ghetto gewählt.

Viele der Änderungen, deren Ziel es war, die Situation im Ghetto äußerlich zu verbessern, wurden schon im Frühling 1943 eingeführt. So wurde z.B. das Ghetto im Mai umbenannt und hieß jetzt jüdisches Siedlungsgebiet, aus den Tagesbefehlen wurden die „Mitteilungen der Selbstverwaltung", die in Form von dekorativen Plakaten herausgegeben wurden. In Theresienstadt wurde auch die Bank der Jüdischen Selbstverwaltung eingerichtet, die mit speziellem Theresienstädter Geld, in Wirklichkeit nur wertlose Scheine, operierte. Während des darauf folgenden Sommers bekamen die Strassen im Ghetto zivile Namen anstatt der bis dahin benutzten militärischen Bezeichnung aus Buchstaben und Nummern.

Courtesy of USHMM Photo Archives.

Der konkrete Anlass, der zu der Entscheidung führte, Theresienstadt zu verschönern, war die Forderung des Dänischen Roten Kreuzes, ihrem Delegierten zu ermöglichen, die 466 dänischen Juden zu besuchen, die im Oktober 1943 ins Ghetto deportiert wurden. Die dänischen Behörden intervenierten zugunsten ihrer Bürger bei deutschen Behörden in Kopenhagen und Berlin. Ein offizieller ausländischer Besuch war jedoch für die Nazis in den bestehenden kritischen Bedingungen, in denen die Theresienstädter Häftlinge lebten, undenkbar. In dieser Situation entschieden sich die Nazis für eine Verschönerung von Theresienstadt in einem Maße, das das Ghetto für eine ausländische Delegation präsentabel machen würde.

Die Verschönerung der Stadt bedeutete genügend überzeugende Kulissen zu schaffen, hinter denen man die wirkliche Situation der Theresienstädter Juden verstecken konnte. Die SS begann die Stadtverschönerung bereits Ende 1943, auf Drängen des Auswärtigen Amtes und des deutschen Roten Kreuzes, in vollem Gang war die Aktion jedoch erst Anfang 1944.

Die Häftlinge mussten die Straßen und Häuser im Ghetto sauber machen und herrichten. Der zentrale Platz, der zu jenem Zeitpunkt den Juden unzugänglich war, wurde jetzt mit neuem Rasen und Rosenstöcken geschmückt. Im Ghetto tauchten Geschäfte, Kaffeehäuser und ein Musikpavillon auf. An verschiedenen Stellen wurden Bänke aufgestellt. Es wurden ein Kinderspielplatz, Kinderkrippe, Kindergarten sowie eine Schule errichtet. In den Strassen wurden dekorierte Wegweiser aufgestellt, die den Weg in die Bank, zur Post, zum Badeplatz oder ins Kaffeehaus zeigten. Die Verschönerung der Fassade des Theresienstädter Ghettos betraf auch die Innenausstattung einiger Einrichtungen und Wohnungen, vor allem derjenigen, die sich im Erdgeschoss der Häuser befanden, an denen die Delegation vorbeikommen sollte. Hergerichtet wurden auch die Gemeinschaftshäuser, Konzert- sowie Theatersäle. Die Änderungen betrafen auch einige bis zu jener Zeit gültige Verordnungen: die Pflicht zu grüßen wurde aufgehoben, die Ausgangssperre wurde auf 22 Uhr verschoben. Es wurde auch die Flächen erweitert, wo sich die Juden bewegen durften.

Im Mai 1944 wurden aus Theresienstadt 7500 Häftlinge nach Auschwitz deportiert mit dem Ziel, die offensichtliche Übervölkerung des Ghettos bis zum Besuch zu senken. Damals war Theresienstadt schon so weit verschönert, dass Himmler der Delegation des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes und den Vertretern Dänemarks und Schwedens den Besuch des Ghettos und eines Arbeitslagers (vermutlich war das Familienlager in Auschwitz-Birkenau gemeint) bewilligte.

Der Plan des Besuches wurde detailliert vorbereitet und orchestriert, um unvorhersehbare Fehler, die die ganze Camouflage verraten hätten, zu verhindern. Den Häftlingen wurden befohlen, sich am Tag des Besuchs ihre besten Kleider anzuziehen, den „Kriegsveteranen und Krüppeln" wurde verboten, die Häuser zu verlassen. Die ganze Route der Besichtigung wurde zuvor einige Male kontrolliert.

Die dreiköpfige Delegation besuchte das Ghetto am 23. Juni 1944. Sie bestand aus zwei Dänen, Frants Hvass aus dem Auslandsministerium und Juel Henningsen vom Dänischen Roten Kreuz, sowie dem Schweizer Maurice Rossel , einem Funktionär des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes. Sie wurden von einer Reihe hoher nationalsozialistischer Funktionäre, von Vertretern des Deutschen Roten Kreuzes und vom Theresienstädter Judenältesten Paul Eppstein begleitet. Die Delegierten durften mit dänischen Häftlingen sprechen, Kontakt mit anderen Juden wurde jedoch sorgfältig vermieden. Die Gäste besuchten den Sitz der jüdischen Selbstverwaltung, wo Paul Eppstein sie begrüßte und ihnen manipulierte statistische Angaben über das Ghetto (Zustand der Bevölkerung, Sterberate, Lebensmittelrationen etc.) präsentierte. Die Besichtigung wurde in der Dampfwäscherei, im Speisesaal, in einer Wohnbaracke für jüdische Arbeiter, in der Bäckerei, im Kindererholungsheim und im Gemeinschaftshaus fortgesetzt, wo gerade - wie zufällig - die Kinderoper aufgeführt wurde. Die Delegation ging an dem Gebäude vorbei, das vor einem Monat zur Schule geworden war, in der jedoch nie unterrichtet wurde. Sie besuchte die Wohnungen einiger Dänen und prominenter Häftlinge, die Apotheke, die Bank, die Post, das Geschäft, die Metzgerei, die Feuerwehr, das Badehaus, die Chirurgie und weitere fiktive Einrichtungen, die nur zu dem Zweck entstanden waren, um der Delegation vorgeführt werden zu können.

Die ganze Besichtigung einschließlich des Mittagessens dauerte etwa acht Stunden. Alle drei Delegierten schrieben nach dem Besuch in Theresienstadt einen Bericht, von denen der schockierendste der von Maurice Rossel war. Während die Berichte von Hvass und Henningsen, obwohl sie die nazistische Lüge nicht entlarvten, Sympathien gegenüber den Juden ausdrücken und in ihren Behauptungen zurückhaltend waren, war Rossels Text ganz im Einklang mit der Absicht der Nazis, das Theresienstädter Ghetto als eine ganz normale jüdische Stadt mit einer wirklichen Selbstverwaltung zu präsentieren. Zu den schlimmsten Behauptungen gehörte, dass die SS den Juden Freiheiten lässt, dass sie sich die Verwaltung selbst organisierten und dass das Theresienstädter Lager ein Endlager ist, also dass keine Häftlinge weiter verschickt würden. Das Bemühen der Nationalsozialisten, die Wahrheit über Theresienstadt zu verschleiern, war in diesem Sinne erfolgreich.

Aufnahme aus dem propagandistischen Dokument Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet. Courtesy of USHMM Photo Archives.

In gewisser Weise knüpften an die Verschönerungsaktion im Ghetto auch die Dreharbeiten für einen propagandistischen Dokumentarfilm, die nur einige Wochen nach dem Besuch der Delegierten aus Dänemark und des Internationalen Roten Kreuzes begannen, an. Im August und September 1944 drehten hier nazistische Filmmacher einen Film, dessen Titel wahrscheinlich Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet lauten sollte. Da er erst in den letzten Kriegswochen fertig gestellt wurde, wurde er nie einer breiteren Öffentlichkeit vorgeführt. In den letzten Monaten der Existenz des Ghettos wurde Theresienstadt noch einige Male in seiner verschönerten Form weiteren ausländischen Delegationen vorgeführt.

Die Zeit der Verschönerung des Ghettos ging jedoch zu Ende, als im Herbst 1944 wieder mehr als 18 000 Häftlinge aus Theresienstadt nach Auschwitz deportiert wurden.


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Maurice Rossel, Paul Eppstein