Der Erlass über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung und die "Zigeunererfassung" im "Protektorat"

Die nach der Errichtung des Protektorats getroffenen romafeindlichen Maßnahmen wie das Verbot des Umherziehens, der Niederlassungszwang und auch die Möglichkeit der Internierung von Roma-Männern in Strafarbeitslagern gingen grundsätzlich noch auf Maßnahmen der Regierung der 1. Tschechoslowakischen Republik zurück. Die nationalsozialistische Lösung der sogenannten Zigeunerfrage konnte im „Protektorat“ erst begonnen werden, nachdem die Mehrheit der Behörden unter die Kontrolle der Besatzer gebracht worden war. Nach und nach wurden alle Spielräume, die durch die formelle „Autonomie“ des Protektorats gewährt worden waren, beschnitten und die Behörden wurden zu Marionetten in den Händen der Nazis. So wurde der Weg frei für die „endgültige Lösung“ der sogenannten Zigeunerfrage.

Die Ausgangslage war für die Nazis günstig. Die Roma auf dem Gebiet des „Protektorats“ waren registriert und lebten praktisch unter polizeilicher Aufsicht, die lokalen Behörden lieferten regelmäßige Berichte über ihre Lebensführung. Im Gegensatz zur Verfolgung der Jüdinnen und Juden oblagen alle Fragen im Zusammenhang mit den Roma der Kriminalpolizei. Diese Aufgabenverteilung ergab sich vor allem aus der nationalsozialistischen Betrachtung der Roma als erblich bedingt asoziale Gruppe, die der nationalsozialistischen, pseudowissenschaftlichen Theorie zufolge durch ihr asoziales Verhalten eine Gefahr für die Gesellschaft darstellte. Gleichzeitig entsprach diese Aufgabenverteilung aber auch der Vorkriegstradition, die Roma polizeilich zu registrieren und durch polizeiliche Maßnahmen zu maßregeln. Das Jahr 1942 wurde zum Wendepunkt in der Lösung der sogenannten Zigeunerfrage nicht nur im „Protektorat Böhmen und Mähren“, sondern auch im gesamten, von den Nazis besetzten Europa.

Nach der Übernahme des Amtes des „Stellvertretenden Reichsprotektors“ durch R. Heydrich nahm der deutsche Druck auf die Protektoratsbehörden zu. Staatssekretär K.H. Frank befahl im Namen des Amtes des Reichsprotektors dem Vorsitzenden des Ministerrats die Ausarbeitung des Gesetzes zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung nach deutschem Muster. In den Monaten November und Dezember 1942 fanden diesbezügliche Beratungen von Vertretern der Protektoratsministerien, der Protektoratskriminalpolizei sowie der deutschen Kriminalpolizei statt.

Der Regierungserlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung

Mit dem Regierungserlaß Nr. 89/42 vom 9. März 1942 über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung wurde die nationalsozialistische Lösung der „Zigeunerfrage“ im „Protektorat“ offiziell begonnen. Das Protektoratsgesetz war eine Kopie des gleichnamigen Erlasses aus dem Deutschen Reich, den der Chef der Polizei und SS, H. Himmler, im Jahre 1937 herausgegeben hatte. Das Gesetz beinhaltete auch die sogenannte polizeiliche Vorbeugehaft, die die Zentrale der Kriminalpolizei in Prag und die Kriminalpolizeiabteilung der Polizeidirektion Brünn verhängen konnte. Die polizeiliche Vorbeugehaft war zeitlich unbegrenzt und für sogenannte „Asoziale“ konzipiert worden. Im Gesetz selbst widmete sich ein eigener Teil „Zigeunern und nach Zigeunerart umherziehenden Personen“. Dieser Personenkreis konnte schon allein aufgrund des unerlaubten Verlassens des Ortes, an dem sie gemeldet waren, inhaftiert werden.

Die Konsequenzen des Gesetzes über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung traten auch in einer weiteren Phase der nationalsozialistischen Lösung der „Zigeunerfrage“ zu Tage, vor allem nach dem Inkrafttreten des Erlasses über die Bekämpfung des Zigeunerunwesens, auf dessen Grundlage die Zigeunerlager in Lety u Písku und Hodonín u Kunštát errichtet wurden, die zum Symbol des Holocaust der Roma auf dem Gebiet des „Protektorats“ wurden. Die im Gesetz über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung genannten Gründe für die Verhängung von polizeilicher Vorbeugehaft wurden zur formellen Grundlage für die Inhaftierung in diesen Lagern.

 

Personenkarte aus dem Anhaltelager Lety u Písku, 1942. (Foto: Muzeum romské kultury.)

Die polizeiliche Vorbeugehaft konnte auf dem Gebiets des „Protektorats“ in den Zwangsarbeitsanstalten Prag-Ruzyně, Pardubitz und Brünn, darüberhinaus in den ehemaligen Strafarbeitslagern Lety u Písku und Hodonín u Kunštát, die nun zu „Anhaltelagern“ umbenannt wurden, vollzogen werden. Ihre schlimmste Variante bestand jedoch in der Deportation nach Auschwitz I. Derartige Deportationen erfolgten von April 1942 bis zum Februar 1944. Bis Ostrava wurden diese Transporte von der uniformierten Protektoratspolizei begleitet, an der Grenze übernahm die deutsche Polizei, die die Transporte bis an ihren Bestimmungsort – das Konzentrationslager Auschwitz I – brachte. Roma bildeten in den Gruppen der so Deportierten allerdings nur einen kleinen Teil.

Eine Ausnahme stellte die Deportation von Häftlingen aus dem sogenannten Zigeunerlagern Lety u Písku und Hodonín u Kunštát Anfang Dezember 1942 dar. Mit dem ersten Transport wurden am 3. Dezember 1942 16 Männer und 77 Frauen aus dem Lager in Lety deportiert, mit dem zweiten, der aus Häftlingen des Lagers in Hodonín zusammengestellt wurde, wurden am 7. Dezember 1942 weitere 45 Männer und 30 Frauen, gemeinsam mit 16 weiteren Personen, über die polizeiliche Vorbeugehaft verhängt worden war, deportiert.

Die Zigeunerfassung am 2. August 1942

Die Dynamik der Ereignisse nahm zu. Das Protektoratsinnenministerium sandte am 22. Juni 1942 einen Rundbrief an die ihm untergeordneten staatlichen Behörden, in dem es die Vorbereitung der Erfassung aller „Zigeuner, Zigeunermischlinge und nach Zigeunerart umherziehenden Personen“ verfügte. Diese Erfassung sollte vor allem die bereits existierenden Angaben ergänzen, denn nach Auffassung des Ministeriums hatten sich bislang viele „Zigeunermischlinge“ und Personen, die auf Zigeunerart umherzogen ihrer Registrierung entzogen. Die Vorbereitungen der Erfassungen sollten geheim gehalten werden, um eine erneute Vermeidung der Registrierung seitens dieser Personen zu vermeiden.

Anfang Juli 1942 kam es zu einer Restrukturierung der Protektoratspolizei, deren Ziel es war, die Kontrolle der Nazis über die Protektoratsbehörden zu vergrößern. Das neugeschaffene Amt des Generalinspektors der nichtuniformierten Protektoratspolizei wurde durch die Ernennung des SS-Offiziers Erich Weinmann besetzt und seine erste Maßnahme bestand in der Herausgabe des Erlasses „über die Bekämfung des Zigeunerunwesens“. Der Erlass, herausgegeben am 10. Juli 1942, befahl die Erfassung aller „Zigeuner und Zigeunermischlinge“ auf dem Gebiet des „Protektorats“. Es handelte sich im Grunde um eine Kopie des reichsdeutschen Erlasses aus dem Jahr 1938, der für diejenigen Roma, die in den nach dem Münchner Abkommen dem Deutschen Reich zugeschlagenen Gebiete lebten, bereits Gültigkeit besaß.

Auf Grundlage dieses Erlasses wurde die Erfassung aller „Zigeuner, Zigeunermischlinge und Personen, die nach Zigeunerart umherziehen“ durchgeführt. Zuständig waren die Gendarmerie und die Polizei, die die Erfassung vom 1. bis zum 3. August 1942 in die Tat umsetzten.

Die Koordination der Erfassung übernahm die Zentrale der Kriminalpolizei in Prag, die die übrigen Polizeieinheiten bei der Durchführung befehligte. Die Kreisämter kümmerten sich um die Organisation der Erfassung vor Ort und um die öffentliche Bekanntmachung des Befehls zur Erfassung. Die Bürgermeisterämter der einzelnen Orte erstellten eine Liste der betroffenen Personen aus ihrem Ort und halfen, soweit nötig, bei der Vorführung der Betroffenen zur Erfassung.

Die Erfassung fand hauptsächlich am 2. August 1942 statt. Auf Gendarmerieposten und Polizeistationen erstellten Beamte umfangreiche Dokumentationen der vorgeführten Personen, sowohl über ganze Familien als auch über Einzelne. Fragebögen nach reichsdeutschem Muster wurden ausgefüllt, ebenso wurden Fotografien gefertigt und Fingerabdrücke genommen. Die Entscheidung, ob es sich bei einer Person um einen Roma oder Romamischling handelte, oblag in erster Instanz den Polizeibehörden, die die Erfassung durchführten.

Die Ergebnisse dieser Erfassung wurden dann im weiteren Verlauf bis zum Frühjahr 1943 überprüft. Den so zusammengetragenen Informationen zufolge waren insgesamt 11 860 Personen während der Zigeunererfassung überprüft oder neu registriert worden. Die Polizeibehörden erklärten 5830 Personen zu Zigeunern und Zigeunermischlingen, 5108 Personen als „nach Zigeunerart umherziehend“ und schließlich wurden weitere 948 Personen, die einer selbstständigen Arbeit nachgingen oder sich in Gefängnissen oder Krankenhäusern befanden, hinzugerechnet. Aus der zweiten Gruppe der „nach Zigeunerart Umherziehenden“ betrachtete die Polizei nur 266 Personen als Roma. Nach rassischen Kriterien wurden ca. 6500 ethnische Roma und Romamischlinge erfasst, denen die Erlaubnis zum Umherziehen mit der Begründung entzogen wurde, sie verkauften qualitativ minderwertige Produkte und begingen so Diebstahl an der Landbevölkerung. Tatsächlich aber war diese Maßnahme rassisch motiviert, denn Nichtroma wurde die Erlaubnis zum Umherziehen nicht entzogen.

Die Mehrheit derjenigen, die sich der Erfassung und Kennzeichnung als Zigeuner oder Zigeunermischlinge unterziehen musste wurde nach einer polizeilichen Verwarnung unter der Bedingung, dass sie weiterhin an dem Ort, an dem sie gemeldet waren, verblieben, wieder entlassen. Über einen kleineren Teil der Betroffenen wurde die polizeiliche Vorbeugehaft in den sogenannten Zigeunerlagern verhängt. Alle Roma mussten ihre Protektoratsausweise abgeben und konnten sich von nun an nur noch mit der sogenannten „Zigeunerlegitimation“ ausweisen.

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