Jüdische Selbsthilfe und Emigration

Angesichts der nun staatlich organisierten Diskriminerung und Verfolgung bemühten sich die wichtigsten jüdischen Organisationen in Deutschland um die Überbrückung ihrer Differenzen und einen Zusammenschluss, um sich gemeinsam zur Wehr setzen zu können. So wurde 1933 eine neue Dachorganisation gegründet, die „Reichsvertretung der deutschen Juden“, zu deren Vorsitzenden der liberale Rabbi Leo Baeck gewählt wurde. Neben verschiedensten Protesten gegen die Behandlung der Jüdinnen und Juden durch das NS-Regime kümmerte sich die „Reichsvertretung der deutschen Juden“ um die Organisation von humanitärer Unterstützung für die von Berufsverboten und anderen Maßnahmen Betroffenen, die nicht mehr für ihren eigenen Lebensunterhalt aufkommen konnten, Bildungsmöglichkeiten für die aus den Schulen ausgeschlossenen jüdischen Kinder und bot Unterstützung bei der Auswanderung.

Zwischen 1933 und 1939 wanderte etwa die Hälfte aller in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden aus und suchte Zuflucht in anderen Ländern. Das Ausmaß der Emigration variierte von Jahr zu Jahr, und hing mit der Stärke der Verfolgung und den Aufnahmechancen in den verschiedenen Zielländern zusammen. Im Jahre 1933 verließen insgesamt 40 000 Jüdinnen und Juden Deutschland, die meisten davon jung und alleinstehend, und/oder politisch aktiv. In den darauffolgenden Jahren sank die Zahl der Auswandernden und stieg erst in den Jahren 1938 und 1939 wieder an, als die deutschen Juden schließlich jede Hoffnung aufgaben, unter dem NS-Regime ein normales Leben führen zu können. Ab Kriegsbeginn im September 1939 wurde es immer schwieriger, auszuwandern, da die Bereitschaft der möglichen Zielländer zur Aufnahme von Flüchtlingen immer weiter abnahm.

Die Anzahl jüdischer Emigranten aus Deutschland (ohne Österreich)

Jahr

Anzahl Personen

1933

27 000

1934

23 000

1935

21 000

1936

25 000

1937

23 000

1938

40 000

1939

78 000

1940

15 000

1941

8000

Insgesamt

270 000

(Quelle: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Band IV: Aufbruch und Zerstörung, 1918-1945, s. 227.)

Die beliebtesten Auswanderungsziele waren Palästina (mehr als 50 000 Menschen) und europäische Länder. Die Vereinigten Staaten behinderten Immigration deutscher Juden durch mehrere Erlasse und so blieb die Zuwanderung in die USA in den 1930er Jahren unterhalb der eigentlich festgelegten Quote für Einwanderung aus Deutschland. Erst in den Jahren 1938 und 1939 ließen die USA eine größere Anzahl an Flüchtlingen ins Land.

Die MS St. Louis im Hafen von Havanna. (Foto: Herbert Karliner, mit Genehmigung des USHMM Photo Archives)

Für Emigrantinnen und Emigranten wurde es immer schwieriger, ein Auswanderungsziel zu finden. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die MS St. Louis, ein Schiff, das im Mai 1939 mit mehr als 900 Flüchtlingen aus Deutschland in Richtung Kuba aufbrach. Noch vor der Ankunft wurde die Anlegegenehmigung von den kubanischen Behörden für ungültig erklärt. Trotz diplomatischer Bemühungen erhielt die MS St. Louis keine Landeerlaubnis auf Kuba oder in den USA und musste so nach Europa zurückkehren. Schließlich erklärten sich Großbritannien, die Niederlande, Belgien und Frankreich dazu bereit, die Passagiere aufzunehmen. Viele von ihnen wurden jedoch dennoch zu Opfern  der nationalsozialistischen „Endlösung der Judenfrage“, nachdem die Länder, in denen sie Aufnahme gefunden hatten, von den Nazis besetzt worden waren.

Jüdische Organisationen und Gemeinden bemühten sich, sicher zu stellen, dass die Emigranten so gut wie möglich auf ihr neues Leben vorbereitet waren, die Auswanderung reibungslos ablief und die Menschen nicht in Panik ohne die notwendigen Vorbereitungen aufbrachen. Sie organisierten Sprachkurse und Umschulungen. Einige junge Leute durchliefen Hachshara - eine landwirtschaftliche Ausbildung auf Land, die von Zionisten für diejenigen, die nach Palästina auswandern wollten, organisiert wurde.

Die Nazi-Behörden unterstützten die Emigration von Juden, da diese mit ihren eigenen Zielen übereinstimmte. Gleichzeitig nahmen sie den vor der Verfolgung fliehenden so viel ihres Eigentums wie möglich ab, was es den Betroffenen weiter erschwerte, in anderen Ländern Asyl zu erhalten. Im Jahre 1933 gelang es zionistischen Organisationen das Ha‘avara-Abkommen mit den Nazis abzuschließen. Dieses sah vor, dass nach Palästina emigrierende Jüdinnen und Juden, die ihr Eigentum in Deutschland lassen mussten, deutsche Waren nach Palästina importierten und dafür einen Großteil ihres Vermögens nach der Ankunft zurückerhielten. Das Ha’avara-Abkommen hatte bis 1937 Bestand.

Auch die Zusamensetzung der jüdischen Gemeinden in Deutschland änderte sich durch die Verfolgung durch die Nazis. Die Mehrheit der jüdischen Emigranten bildeten junge Leute, weswegen es nun einen viel größeren Anteil an alten Jüdinnen und Juden gab, die Deutschland nicht verlassen konnten oder wollten. Gleichzeitig erging es denjenigen Jüdinnen und Juden, die auf dem Land oder in Kleinstädten lebten, viel schlechter, da sie der Diskriminerung im Alltag viel direkter ausgesetzt waren und es leichter war, sie zu isolieren. Viele von ihnen zogen deshalb in die Großstädte, wo sie sich mehr Anonymität und die Unterstütztung einer großen jüdischen Gemeinde erhofften. Laut der Volkszählung vom Mai 1939 lebten insgesamt 330 893 Personen, die von den Nazis als „Juden“ kategorisiert wurden, im Deutschen Reich, Österreich miteinbezogen. Mehr als 55 % von ihnen lebten in den Großstädten Berlin, Wien und Hamburg.

Stichwörter

Leo Baeck, Dachorganisation

Literatur:

Barkai, Avraham und Mendes-Flohr, Paul. Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Band IV: Aufbruch und Zerstörung, 1918-1945. München: C. H. Beck, 1997. 429 s.

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