Überleben in Theresienstadt

Raumnot

Zu den schwierigsten Seiten des Lebens im Ghetto gehörte der absolute Mangel an Wohnraum. Vor dem Krieg lebten in Theresienstadt einschließlich der Garnison etwa 7000 Personen. Als im September 1942 die Zahl der Häftlinge ihren höchsten Stand erreichte, drängten sich innerhalb der Schanzen etwa 58 500 Männer, Frauen und Kinder zusammen. Mit dem Raum, der früher für eine Person bestimmt war, mussten sich nun mehr als acht Häftlinge begnügen. Die durchschnittliche Wohnfläche für einen Häftling betrug 1,4 Quadratmeter.

Für die Unterkunft der Häftlinge nutzte man die ehemaligen Kasernen (allein in der Sudetenkaserne wurde eine größere Zahl Häftlinge untergebracht, als die Stadt vor dem Krieg Einwohner hatte), die Wohnhäuser der Zivilbevölkerung, die bis Juni 1942 die Stadt verlassen musste, neu gebaute Holzbaracken, aber auch eine ganze Reihe Notunterkünfte - Schuppen in Höfen, Teile der Kasematten und vor allem Dachböden in verschiedensten Objekten. So hatten im Oktober 1942 insgesamt 6 034 Personen ihre Unterkunft auf Dachböden.

Diese Bedingungen brachten grundsätzliche hygienische Probleme mit sich, vor allem in der ersten Phase des Ghettos verstärkten sich die Auswirkungen noch durch den katastrophalen Wassermangel. Die bereits schwierige Lage spitzte sich nochmals durch bereits bei kleinsten Verstößen verhängte Kollektivstrafen, wie die Einschränkung der Beleuchtung, zu.

Der scheinbar endlose Kampf mit lästigem Ungeziefer, Infektionskrankheiten, aber auch psychische Pein wegen der nicht vorhandenen Intimsphäre bildeten einen integralen Bestandteil des Ghettoalltags.

 

Häftlingsunterbringung in der Hannover-Kaserne.
 

Hunger

Der Hunger der Häftlinge in Theresienstadt hatte vor allem den Charakter einer langwierigen Unterernährung. Diese entstand nicht nur durch die kleinen Mengen der zugeteilten Lebensmittel, sondern auch durch den viel zu niedrigen Nährstoffgehalt und einen Mangel an Vitaminen. Nicht zuletzt spielte auch die negative Erfahrung, dass das Essen die Häftlinge zumeist erst kalt erreichte und die Notwendigkeit, sich bei der Essensausgabe lange in erniedrigenden Schlangen anstellen zu müssen, eine Rolle.
Es ist nicht möglich, einen genauen und allgemeingültigen Überblick über die verschiedenen Grade des Hungers im Ghetto zu geben Außerdem gab es in der Praxis auch zwischen verschiedenen Gruppen Unterschiede, die in unterschiedliche Essensgruppen eingeteilt wurden. Hart arbeitende Personen bekamen eine etwas größere Ration während Nichtarbeitende noch weniger als den bereits sehr niedrigen Durchschnitt bekamen. Am Glücklichsten waren jene, die außerhalb der Grenzen des Ghettos Verwandte oder Bekannte hatten, die ihnen von Zeit zu Zeit ein Päckchen mit Lebensmitteln schicken konnten.

Alles in allem war die Ernährunglage in Theresienstadt sehr schlecht und gehörte zu jenen Faktoren, die die dezimierende Funktion des Ghettos unterstützten.

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Ein Bezugsschein für Abfallgemüse war eine wertvolle Aufbesserung der Ernährung.
 

Kinder

Die Kinder im Theresienstädter Ghetto bildeten eine ganz besondere Kategorie der Häftlinge - hilflos, sensibel und umso verletzlicher. Die Selbstverwaltung des Ghettos bemühte sich, für sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten etwas erträglichere Bedingungen in der Unterkunft, bei der Verpflegung und im Allgemein zu schaffen. Hilfsbereite Mithäftlinge kümmerten sich um ihre alltäglichen Bedürfnisse sowie um eine sinnvolle Freizeitgestaltung. Im Tagesprogramm der sog. Kinder- und Jugendheime fehlte es deswegen nicht an Kultur, Sport sowie Aufklärungs- und Bildungsaktivitäten. In der Erziehung der Jugend wirkten viele hervorragende Pädagogen wie Valtr Eisinger, Růžena Engländerová, Josef Stiassny, Willi Groag, Egon Redlich und Fredy Hirsch. Der Unterricht wurde geheim gehalten, es wurden Veranstaltungen und Diskussionen organisiert, an denen führende Persönlichkeiten der Wissenschaft, Kunst und des politischen Lebens aus der Vorkriegszeit teilnahmen.

Das Milieu des Ghettos, in das die jüngsten Häftlinge kamen, brachte manche von ihnen zum Schreiben als Äußerung ihrer innersten Gefühle und Gedanken. So entstanden Gedichte sowie verschiedenste literarische Texte, die heute die Atmosphäre des Ghettolebens und seiner Entwicklung den Leserinnen und Lesern treffend nahe bringen. Dieses Schaffen wurde vor allem auf den Seiten der Zeitschriften präsentiert, die zeitweise sogar regelmäßig erschienen. Die berühmteste von ihnen war „Vedem“ („Wir führen“), die die Jungen aus Heim L417 herausgaben. Vor allem unter der Leitung der Malerin und Pädagogin Friedl Dicker-Brandeisová schufen die Kinder Zeichnungen, in die sie ihre Gefühle, Sehnsüchte und Erinnerungen an ihr Zuhause legten.

Eine besondere Bedeutung hatte für die Kinder und Jugendlichen im Ghetto die Kinderoper Brundibár, die mit begeisterter Teilnahme der jungen Mitwirkenden viele Reprisen hatte. Alle Anwesenden verstanden die Botschaft des Stückes sehr gut, den Glauben an den Sieg des Guten über das Böse. Der Schlusschor dieser Oper wurde zur eigentlichen Hymne des Ghettos.

Insgesamt gab es unter den Häftlingen des Ghettos mehr als 10 500 Kinder, die vor der Deportation nach Theresienstadt keine fünfzehn Jahre alt waren. Etwa 400 von ihnen starben in Theresienstadt, für die meisten von ihnen entschied jedoch die Einreihung in Transporte in die Vernichtungslager im Osten über ihr Schicksal. Dort kamen etwa 7500 der jüngsten Opfern der „Endlösung der Judenfrage“ um.

Alte Menschen

Nach der Wannseekonferenz begann man, Menschen aus Deutschland und Österreich, die älter als 65 Jahre alt waren, mit Sammeltransporten nach Theresienstadt zu deportieren. So vergrößerte sich die Anzahl der alten Menschen im Ghetto erheblich. Jene, die bereits dort waren, kamen aus Böhmen und Mähren. Ihre Lebensumstände gehörten zu den schrecklichsten im Ghetto. Gerade für sie war das Wohnen in provisorisch eingerichteten Räumen, wie Dachböden, Kellern oder Pferdeställen, ohne jede Möglichkeit zur persönlichen Hygiene am Wenigsten erträglich. Alte Menschen aus Deutschland und Österreich hatten zudem keine jüngeren Verwandten oder Bekannte, die sich um sie hätten kümmern können – weder physisch noch psychisch. Darüberhinaus waren diese Menschen von der Erfahrung der Ankunft in Theresienstadt traumatisiert. Sie unterschrieben vor ihrer Deportation sogenannte „Heimeinkaufsverträge“. In diesen wurde ihnen zugesichert, dass sie bis zu ihrem Lebensende medizinisch und anderweitig versorgt werden würden, im Gegenzug dazu übergaben sie den Nazis ihren gesamten Besitz. Dieser kam in die Hände der SS, und die betrogenen alten Menschen traf die harte Realität des Ghettos Theresienstadt vollkommen unvorbereitet. Die so traumatisierten alten Menschen überstanden Hunger, Krankheiten und die übrigen Leiden des Lagerlebens nicht lange. Ihre Sterblichkeitsrate war daher besonders hoch. Im Herbst 1942 waren 46-50 % der Inhaftierten über 65 Jahre alt. Dieser Prozentsatz nahm allerdings schnell stark ab, auch daher, dass kurze Zeit später alte Menschen nicht mehr nach Theresienstadt, sondern direkt in die Vernichtungslager im Osten deportiert wurden. Die SS-Kommandantur konnte auf diese Weise das Problem der Überbevölkerung der Ghettos sowie Risiken der Infektionskrankheiten mindern. Der Zeitraum, in dem man Theresienstadt als „Ghetto für Alte“ bezeichnen konnte, dauerte nur ein halbes Jahr lang an.

Diejenigen alten Menschen, die über längere Zeit in Theresienstadt blieben, bildeten eine der ärmsten Gruppierungen im Ghetto, obwohl die jüdische Selbstverwaltung sich bemühte, ihre Situation zu verbessern, indem man Häuser für sie bereitstellte, in denen sie eine Grundversorgung und andere Hilfestellungen erhielten.

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Moritz Müller: Ruhende alte Frauen
 

Krankheiten und Sterben

Das Gesundheitssystem, das von der jüdischen Selbstverwaltung organisiert wurde, entstand unter unvorstellbar schwierigen Bedingungen. Zunächst standen ÄrztInnen und SanitäterInnen auch für die schwierigsten Eingriffe nur die simpelsten Mittel zur Verfügung, ständig fehlte es an Verbandsmaterial und Medikamenten. Die Situation verbesserte sich nur langsam. Erst als konfiszierte Materialien aus jüdischen Arztpraxen verwendet werden konnte, kam es zur Einrichtung von spezialisierten Krankenhäusern sowie Arztpraxen. Der Mangel an Medikamenten und anderen wichtigen Materialien blieb aber stets ein Problem.

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Plakat „Achtung, Desinfektion!“
 

Trotz der aufopferungsvollen Arbeit der MedizinerInnen wüteten Krankheiten ununterbrochen in Theresienstadt, vor allem wegen des nie endenden Hungers, der psychischen Belastung, des Stresses bei der Arbeit und aufgrund der überfüllten Wohnräume. Jegliche Versuche der MedizinerInnen, die teilweise bis zur vollkommenen Erschöpfung arbeiteten, konnten die allgemein schlechte Gesundheitssituation nur leicht verbessern, die hohe Sterblichkeitsrate aber nicht mindern. Sterbende Menschen waren deshalb ein alltägliches Phänomen im Leben des Ghettos, genauso wie Krankheiten und der Tod jeden Häftling begleiteten.

Tod und Begräbnisse

Schon bei der Gründung des Theresienstädter Ghettos legten die Nazis die Dezimierung der gefangen gehaltenen Jüdinnen und Juden als eine der Grundfunktionen des Lagers fest. Auch wenn sich die auf dieses Ziel gerichteten Methoden in mancher Hinsicht von denjenigen unterschieden, die in den Vernichtungslagern genutzt wurden, kamen im Ghetto infolge psychischen Drucks sowie physischer Krankheiten insgesamt 33 430 Menschen um –fast ein Viertel aller Menschen, die nach Theresienstadt deportiert wurden, ohne die Opfer der sog. „Evakuierungstransporte“, die zwischen dem 20. April und 6. Mai 1945 nach Theresienstadt geleitet wurden.

Nachdem das gesamte Stadtgebiet zum Ghetto erklärt wurde, entstand in einem Teil der Theresienstädter Festungskasematten eine zentrale Leichenhalle, wo die Toten gesammelt und zur Bestattung vorbereitet wurden. In Nebenräumen der Kasematten entstanden zwei sog. Zeremonienräume, wo einfache Versammlungen zur Verabschiedung von den Verstorbenen stattfanden. Es handelte sich um Sammelzeremonien, die zur Zeit der höchsten Sterblichkeit auch mehrmals täglich stattfanden. Es nahmen Familienmitglieder, Angehörige und Bekannte der Verstorbenen teil, die hier beten und den Verstorbenen die die letzte Ehre erweisen durften. Einer der Räume wurde den Zeremonien im jüdischen Ritus gewidmet, der andere war für christliche Zeremonien reserviert, denn nach Theresienstadt wurden auch viele Christinnen und Christen deportiert, die jedoch gemäß der „Nürnberger Gesetze“ als Juden galten.

Auf dem Friedhof außerhalb der Stadt wurden die Toten zunächst in Einzel-, später in Massengräbern bestattet. Auf die steigende Sterblichkeit wurde mit dem beschleunigten Bau eines Krematoriums reagiert, das im Oktober 1942 seinen Betrieb aufnahm. Die Urnen mit der Asche wurden in dem den Häftlingen nicht zugänglichen Kolumbarium aufbewahrt, das in einem anderen Teil der Festungskasematten gegenüber der zentralen Leichenhalle errichtet wurde. Als sich das Kriegsende näherte, bemühten sich die Nazis, jegliche Spuren ihrer Verbrechen zu beseitigen. Die Asche von vielen Tausenden ihrer Opfer musste deswegen verschwinden - ein Teil wurde in den Fluss Ohře (Eger) nicht weit vom Ghetto geschüttet, ein anderer Teil in einer Grube in der Nähe des Konzentrationslagers in der nahegelegenen Stadt Litoměřice (Leitmeritz) vergraben.

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Otto Ungar: Begräbnis

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