Die letzten Deportationen und das Kriegsende in Theresienstadt

Nur eine Woche nach der Beendigung der Dreharbeiten für den Propagandafilm erhielten die Vertreter der „jüdischen Selbstverwaltung“ von der SS-Kommandantur die Mitteilung, dass es aufgrund der unzureichenden Produktivität in Theresienstadt nötig sei, eine größere Anzahl von Häftlingen zum Arbeitseinsatz in der Kriegsproduktion in den Osten zu schicken. Einen Tag vor der Abfertigung des Ersten dieser Transporte wurde der zweite „Judenälteste“ von Theresienstadt, Dr. Paul Eppstein, hingerichtet. In die Transporte wurden fast alle Mitglieder des „Ältestenrates“ und andere Mitarbeiter der „jüdischen Selbstverwaltung“ zusammen mit ihren Familien eingereiht. Vom 28. September bis zum 28. Oktober 1944 wurden etwa 18 400 Menschen von Theresienstadt aus nach Auschwitz II-Birkenau deportiert. Von ihnen überlebten nur 1 574.

Die SS-Kommandantur machte Frauen das zynische Angebot, dass sie ihren bereits deportierten Männern mit dem nächsten Zug folgen könnten. Viele Frauen meldeten sich daraufhin freiwillig für die Transporte und fuhren gemeinsam mit ihren Kindern in den Tod. Einer der Faktoren, die zu einer solchen Leerung des Theresienstädter Ghettos und zur Deportationen von arbeitsfähigen Menschen führten war offensichtlich das Bemühen, das Widerstandspotential in Theresienstadt zu schwächen. Dies beweist auch ein Brief, den Himmler zu dieser Zeit an den höchsten SS- und Polizeiführer und zugleich deutschen Staatsminister im „Protektorat“, K. H. Frank, schickte und in dem er ihn auf die Möglichkeit eines Aufstandes in den böhmischen Ländern in den kommenden Wochen aufmerksam machte sowie an die Notwendigkeit vorbeugender Maßnahmen erinnerte.

Nach dem Ende der letzten Welle der Transporte verblieben in Theresienstadt noch etwa 11 000 Häftlinge. Der dramatische Rückgang an Arbeitskräften musste mit der Arbeit von Frauen, Jugendlichen sowie Kindern ausgeglichen werden. Nur mit Schwierigkeiten erholte sich auch die „Selbstverwaltung“, die ihre Tätigkeit in vollem Umfang erst im Dezember wiederaufnehmen konnte. Zum neuen „Judenältesten“ wurde Dr. Benjamin Murmelstein ernannt. An der Spitze des neuen „Ältestenrates“ stand Dr. Leo Baeck. Die schwierige Lage Ende des Jahres 1944 rief bei vielen Häftlingen die Befürchtungen hervor, dass das Lager liquidiert werden würde. Mit Erleichterung nahmen sie deswegen die Ankunft neuer Häftlinge aus der Slowakei auf. Von Dezember 1944 bis zur Befreiung kamen mit vier Transporten etwa 1 400 slowakische Juden aus dem Lager in Sereď nach Theresienstadt, von wo aus frühere Transporte direkt nach Auschwitz II-Birkenau gegangen waren. Nachdem der Betrieb der dortigen Vernichtungseinrichtungen eingestellt worden war, wurden die Transporte nach Theresienstadt umdirigiert. Die slowakischen Juden brachten auch Nachrichten darüber mit, wie die Auschwitzer Todesfabrik funktionierte. Für diejenigen, die in Theresienstadt geblieben waren, bedeutete dies das Ende jeglicher Illusionen über das Schicksal ihrer Familienmitglieder, Angehörigen und Bekannten, die mit früheren Transporten „in den Osten“ deportiert worden waren.

Mitte Januar 1945 entschied das Reichssicherheitshauptamt, dass auch die Ehepartner aus jüdisch-„arischen“ „Mischehen“ aus Deutschland, Österreich und dem „Protektorat Böhmen und Mähren“ zum „geschlossenen Arbeitseinsatz“ nach Theresienstadt deportiert werden sollten. Aus dem „Protektorat“ wurden nun auch die sog. „jüdischen Mischlinge“ deportiert. Diese beiden Gruppen sollten den durch die Herbsttransporte verursachten Arbeitskräftemangel in Theresienstadt beheben. Der Erste dieser Transporte traf am 31. Januar 1945 aus Prag ein. Bis Mitte April wurden insgesamt 5 736 Mitglieder der beiden oben erwähnten Gruppen nach Theresienstadt deportiert.

Eine weitere neue Häftlingsgruppe bildeten 1150 ungarische Juden, die ursprünglich an den Befestigungsarbeiten bei Wien eingesetzt und schließlich im März 1945 nach Theresienstadt deportiert wurden. Das sich nähernde Kriegsende und die immer absehbarere Niederlage Hitlerdeutschlands riefen in den Reihen der SS immer größere Nervosität hervor. Einerseits wurde erneut die propagandistische Nutzung von Theresienstadt vorbereitet, mittels derer der nationalsozialistische Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden verschleiert werden sollte. Zugleich wurden jedoch auch Vorbereitungen auf die mögliche physische Liquidierung der Häftlinge vor der Ankunft der alliierten Armeen begonnen. Diese Vorbereitungen riefen eine beträchtliche Empörung der Häftlinge hervor. Aufgrund ihres Widerstand musste schließlich der Bau einer Gaskammer in einem Teil der ehemaligen Befestigungsanlagen der Festung Theresienstadt eingestellt werden. Fertiggestellt wurde jedoch der sog. „Ententeich“ in einem der Festungsgräben, ein hermetisch abgeriegelter Ort, der zur Ermordung der Häftlinge durch Ertränken oder Erschießen genutzt werden sollte.

Inzwischen jedoch setzte Himmler selbst das Schicksal der Jüdinnen und Juden als Verhandlungsmasse gegenüber den Alliierten ein. Nach seinen Verhandlungen mit dem ehemaligen Vorsitzenden des Schweizerischen Bundesrates, Jean Marie Musy, am 15. Januar 1945 wurde die Abfertigung eines Transportes aus Theresienstadt in die Schweiz angeordnet. Für diejenigen 1 200 Menschen, die am 5. Februar 1945 tatsächlich in die Schweiz abfuhren, bedeutete dies eine unerwartete Erlösung. Viele der in Theresienstadt Verbliebenen glaubten jedoch nicht, dass der Transport wirklich die Schweiz zum Ziel hatte. Erst die Nachrichten des illegal gehörten ausländischen Rundfunks bestätigten, dass der Transport wirklich in der Schweiz eintraf.

Auch der zweite Besuch einer Delegation des Internationalen Komittees des Roten Kreuzes in Theresienstadt war Bestandteil der Pläne der SS, sich ein Alibi zu spinnen Nach einer Inspektion durch Adolf Eichmann Anfang März 1945 wurde die erneute „Verschönerung der Stadt“ angeordnet, die einen ganzen Monat dauerte. Das Kaffeehaus wurde wieder eröffnet, Theateraufführungen und Konzerte angeordnet und auf dem Stadtplatz spielte wieder eine Kapelle Promenadenkonzerte.

Die Delegation besuchte Theresienstadt am 6. April 1945. Sie bestand aus Dr. Otto Lehner und Paul Dunant. Dr. Lehner schrieb danach einen begeisterten Bericht über das „jüdische Siedlungsgebiet", der den Vorstellungen der SS genau entsprach. Die Bemühungen der Nazis, Theresienstadt als „Modellghetto“ zu präsentieren, waren erneut erfolgreich gewesen. Doch die sich zum Kriegsende überstürzenden Ereignisse machten es den Nazis unmöglich, diesen zweiten Besuch zu Propagandazwecken auszunutzen.

Das bevorstehende Ende des Krieges zeichnete sich auch in Theresienstadt immer deutlicher ab. Ein klares Signal für alle Häftlinge war die Evakuierung der dänischen Juden nach Schweden mit einem Autobuskonvoi des Schwedischen Roten Kreuzes am 15. April 1945. Es gab aber auch eine Reihe weiterer Anzeichen für die bevorstehende Befreiung. Am 24. April 1945 verließ die Stadt ein weiterer ungewöhnlicher Transport. Diesmal verließen vor allem die Frauen und Kinder der SS-Mitglieder sowie ein Teil der Mitarbeiter der SS-„Dienststelle", wie sich die Kommandantur seit der „Verschönerung“ nannte, die Stadt. In den darauf folgenden Tagen wurden die Bestände des Archivs des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) verbrannt. Den Häftlingen wurde strengstens verboten, die abgebrannten Reste der Dokumente aufzusammeln, die überall in Theresienstadt umherflatterten. Sie wurden von einem Sonderkommando unter der Aufsicht der SS fortwährend eingesammelt. Einige von ihnen gerieten trotzdem in die Hände der Häftlinge.


Ein teilweise verbrannter Personalfragebogen aus dem Archiv des RSHA

Der Krieg ging nun langsam zu Ende, nicht aber das Leiden der Häftlinge. Vom 20. April 1945 bis zur Befreiung erreichten die sog. „Evakuierungstransporte“ aus den vor der heranrückenden Front geräumten Konzentrationslagern Theresienstadt. Zu den ursprünglichen 17 500 Häftlingen, die vor der Ankunft dieser Transporte im Ghetto waren, kamen nun schrittweise mehr als 15 000 weitere hinzu. Alle waren in erbärmlichem Zustand und ausgehungert, manche lagen im Sterben, manche lagen bereits bei der Ankunft tot in den Waggons. Meistens handelte es sich um jüdische Häftlinge aus Polen und Ungarn, zusammen mit ihnen kamen jedoch auch jüdische sowie nichtjüdische Häftlinge aus einer Reihe von anderen Ländern. Einige Hundert von ihnen waren schon zum zweiten Mal in Theresienstadt. Es waren diejenigen der Ghettohäftlinge, die von hier aus nach Auschwitz deportiert, bei den berüchtigten Selektionen an der dortigen Rampe zum Arbeitseinsatz ausgewählt worden waren und danach als Arbeitssklaven an verschiedenen Orten in Europa arbeiten mussten. Ihre ehemaligen Mithäftlinge, die in Theresienstadt geblieben waren, konnten sie meistens kaum erkennen, denn ebenso wie die anderen Gefangenen aus den Evakuierungstransporten waren sie in katastrophalem Zustand. Manche von ihnen waren so geschwächt, dass sie kurze Zeit nach ihrer Ankunft in Theresienstadt starben. Die größte Gefahr für sie – wie für das ganze Lager – stellten jedoch die Infektionskrankheiten dar, die mit den Evakuierungstransporten ankamen. Es handelte sich vor allem um Flecktyphus, der in den letzten Kriegstagen, aber auch nach der Befreiung noch viele Opfer forderte.

Vor allem bei der Ankunft der ersten Evakuierungstransporte waren wirksame Quarantänemaßnahmen, mittels derer die kranken Häftlinge von den Gesunden getrennt worden wären, nicht durchführbar. Die durch ihr Leiden erschöpften Häftlinge waren sich meistens der Gefahr der Übertragung nicht einmal bewusst. Am 24. April 1945 wurde der erste Fall von Flecktyphus registriert und in der Folgezeit begann sich die Infektion lawinenartig zu verbreiten. Betroffen waren nun auch solche Häftlinge, die sich bereits vor der Ankunft der Evakuierungstransport in Theresienstadt befanden hatten.

Die Evakuierungstransporte brachten Lebende, Sterbende sowie Tote ins Ghetto

Am 2. Mai 1945 kam Paul Dunant, Vertreter des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes nach Theresienstadt und nahm das Lager unter seinen Schutz. Die Macht der SS brach schnell zusammen, eilig verbrannten sie noch Dokumente, dann verließen die bisherigen Herren über Leben und Tod die Stadt. Die meisten von ihnen flohen am 4. Mai, einen Tag später folgte ihnen Lagerkommandant Rahm. Dies bedeutete jedoch noch nicht die Freiheit, denn das Lager war von den sich zurückziehenden Einheiten der Wehrmacht und der SS umgeben. Diese bedrohten aus Wut über die bevorstehende Niederlage die in Theresienstadt Gefangenen mit Erschießung, was weitere Opfer forderte. Erst in den späten Nachmittagstunden des 8. Mai 1945 erreichten die ersten Einheiten der Roten Armee auf dem Weg nach Prag Theresienstadt. Es handelte sich um Truppen unter dem Kommando von General I. G. Ziberov, die der I. ukrainischen Front angehörten.

Der Kampf gegen die Epidemie setzte sich inzwischen fort. Bereits am 4. Mai war eine Gruppe tschechischer Ärzte und Krankenpfleger nach Theresienstadt, Mitglieder der sog. „Tschechischen Hilfsaktion“. Schon allein aufgrund der Tatsache, dass auch die an Typhus Erkrankten aus dem ehemaligen Gestapo-Gefängnis in der Kleinen Festung in die Stadt verlegt worden waren, war ihre Hilfe bitter nötig. Bald leistete auch der sowjetische Militärgesundheitsdienst unschätzbare Hilfe. Er brachte fünf Feldkrankenhäuser mit mobilen Laboratorien, Entlausungsstationen und Bädern nach Theresienstadt, ebenso kamen 53 Militärärzte und weiteres medizinisches Personal. Die Hauptlast des Kampfes gegen die Epidemie trugen jedoch weiterhin jüdische Ärzte und Gesundheitshelfer. Mit der Koordination aller Maßnahmen wurde der bekannte Epidemiologe Dr. Aaron Vedder, der aus den Niederlanden nach Theresienstadt deportiert worden war, beauftragt.

Ein Typhuswarnschild

Die Typhusepidemie erreichte ihren Höhepunkt in der Zeit zwischen dem 6. und 16. Mai. Um eine Ausbreitung der Seuche in der Umgebung zu verhindern wurde Theresienstadt hermetisch abgeriegelt und eine zweiwöchige Quarantäne ausgerufen. Die Kranken wurden in eilig errichteten Infektions- und den schon erwähnten Feldkrankenhäusern isoliert. Sie bekamen entsprechende Pflege, Medikamente und Verpflegung. Deswegen begann die Zahl der Neuerkrankungen ab dem 20. Mai zu sinken und Ende Mai war es endlich möglich, mit der Repatriierung der ehemaligen Häftlinge zu beginnen. Im Juni konnte das sowjetische medizinische Personal Theresienstadt verlassen.

Die Bilanz der Flecktyphusepidemie sowie anderer Infektionskrankheiten war entsetzlich. Noch in den letzten Kriegstagen und den ersten Friedenswochen starben mehr als 1 500 ehemalige Häftlinge. Unter ihnen waren auch 34 jüdische Pfleger. Im Kampf gegen die Epidemie starben außerdem 4 Helfer der „Tschechischen Hilfsaktion“ und eine Reihe von Opfern gab es auch unter dem sowjetischen medizinischen Personal.

Das letzte Kapitel der Geschichte des ehemaligen Theresienstädter Ghettos war die Repatriierung, die nach der Bewältigung der Typhusepidemie allmählich begonnen hatte. Die Ersten hatten Theresienstadt bereits unmittelbar nach der Befreiung verlassen, die Epidemie und darauf folgende Quarantäne verhinderten jedoch dann vorläufig die Entlassung der befreiten Häftlinge. Erst am 30. Mai 1945 konnte die Entlassung und Repatriierung wirklich aufgenommen werden. Sie wurde von der Tschechoslowakischen Repatriierungskommission geregelt, die seit dem 23. Mai 1945 im Gebäude der ehemaligen SS-Kommandantur arbeitete. Bald begannen in Theresienstadt auch die französisch-belgische Repatriierungskommission und die Kommission des American Joint Distribution Komitee mit ihrer Tätigkeit. Zuerst verließen die tschechoslowakischen Staatsangehörigen Theresienstadt, es folgten die Bürger anderer Staaten. Die Repatriierung wurde durch den großen Mangel an Verkehrsmitteln und Treibstoff erschwert.

Den Betrieb im Lager sicherten weiterhin mit großer Opferbereitschaft die ehemaligen Häftlinge. Manche von ihnen verschoben den Termin, an dem sie den Ort ihres Leidens verlassen würden, um ganze Wochen und Monate, um ihren kranken und erschöpften Kameraden helfen zu können. An der Spitze der Selbstverwaltung des ehemaligen Ghettos stand seit dem 11. Mai 1945 Ing. Jiří Vogel. Am selben Tag löste der Tschechische Nationalrat auch formal das ehemalige Ghetto auf. Seit dem 19. Juni 1945 war der offizielle Name des Lagers: „Ehemaliges Konzentrationslager, Theresienstadt-Stadt“.

Alle Personen, die das Lager in den folgenden Tagen und Wochen verließen, mussten sich einer strengen Untersuchung und der Desinfektion ihres Gepäcks unterziehen. Dabei wurden sie mit Kleidern, Lebensmitteln und finanziellen Mitteln ausgestattet. Nach der Ankunft an ihrem Zielort waren sie zu einer weiteren Kontrolluntersuchung verpflichtet. Die größten Gruppen der Häftlinge aus anderen Ländern – vor allem aus Ungarn und Polen – verließen Theresienstadt in der zweiten Junihälfte. Viele polnische, deutsche und österreichische Juden lehnten es jedoch ab, in ihre Heimatländer zurückzukehren und ersuchten um Ausreise nach Nordamerika oder Palästina. Diese Menschen verließen Theresienstadt erst im Juli und August 1945.

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